Montag, Mai 9
Tide
Ich kannte mal ein Mädchen, mit ihr habe ich früher viel Zeit verbracht. Wir haben Schnecken gesammelt und mit Kreide Bahnen auf die Straßen gemalt und ich weiß noch wie sie immer gewonnen hat mit ihren Schnecken und ich weiß immernoch nicht wie sie das jedes Mal geschafft hat. Und wir küssten Frösche, weil wir wirklich an das Märchen glaubten, dass da ein Prinz kommt. Und ich weiß noch, wie wir immer zu dem kleinen Bach unten im Wald gegangen sind und uns unter der Brücke versteckt hatten, wenn unsere Eltern hinterherkamen, um uns zu suchen. Wie oft sind wir dort ins Wasser gefallen und kamen pitschnass nach Hause, aber der Ärger hat uns nie interessiert.
Später sind wir auf Bäume geklettert, ich weiß noch unser Liebling war ein Essigbaum und wir haben von Leonardo DiCapario geträumt, gespielt, dass wir Kate wären und von der großen Liebe geträumt. Und als wir wieder runterkletterten stanken unsere Hände, ein komisch, bissiger Geruch.
Wir haben soviel gemeinsam erlebt, gelacht, es war eine schöne Zeit, eine so leichte Zeit. Sie war so ein hübsches Mädchen, immer ein Lächeln auf den Lippen.
Doch dann kam das Jahr 1999, ihre Eltern ließen sich scheiden und ich sah sie nur noch selten. Immer aller zwei Wochen am Wochenende, wenn sie ihren Vater besuchte. Es hatte sich so viel verändert, wir sammelten zwar immernoch Schnecken und malten Bahnen auf die Straßen, aber sie ließ mich immer gewinnen. Es sah so aus, als wäre sie nie richtig dabei, immer in Gedanken woanders. Sie kam auch nur noch selten zum Spielen, denn ihr Vater hatte nur den Freitagabend bis zum Sonntagabend, um Zeit mit ihr zu verbringen.
Irgendwann kam sie gar nicht mehr.
Sie winkte mir nicht einmal mehr, wenn ich an dem Garten ihres Vaters vorbei ging und sie gerade mit ihm draußen saß. Und ich weiß genau, dass sie mich gesehen hatte.
Ich fand neue Freunde, sie waren ok, ich hatte aber nie soviel Spaß mit ihnen wie mit ihr.
Einige Jahre später sah ich sie gar nicht mehr bei ihrem Vater.
Ich bin jetzt 18 Jahre alt über 12 Jahre sind vergangen, als ich sie zum ersten mal traf.
Vor kurzem lief ich durch die Stadt und hielt an dem Schaufenster mit den Spielwaren. Dort standen wir früher oft. Und ich will nicht sagen, dass ich ununterbrochen nur an sie gedacht habe. Aber einige Situationen in unserem Leben erinnern uns immer wieder an vergangene Dinge. Ich hatte nun mein eigenes Leben, war schon recht erwachsen, hatte einen Freund, die erste große Liebe, von der wir früher noch geträumt hatten, schon hinter mir.
Und als ich da so stand, dachte ich an unsere schönen Zeiten, wo wir gemeinsam Lachen konnten und ich fühlte, dass mir etwas fehlte und meine Augen wurden feucht.
Als ich mich umdrehen und gehen wollte stand da plötzlich eine junge Frau neben mir. Rote Haare, man konnte den Ansatz erkennen. Eine große, dunklere Brille auf und trotzdem konnte ich die Augenringe darunter erkennen. Sie ist etwas fülliger geworden. Aber sie war hübsch, sie war nicht mehr das kleine Mädchen.
Als sie mich sah, überlegte sie kurz und ich grüßte sie, fragte sie, ob sie sich noch an mich erinnerte. Sie bejahte und fragte, ob wir nicht einen Kaffee zusammen trinken gehen wollten. Ich meinte nur, dass ich nicht gern Kaffee trinke und sie meinte, dass es ihr genauso ginge, also entschieden wir uns für Kakao.
Sie fragte mich, wie es mir ginge, was ich alles so erlebt habe, wie alt ich jetzt war, was mein berufliches Leben angeht, ob ich einen Freund hätte... All die Dinge.
Und dann fragte ich sie. Und sie wurde ruhig. Sie schluckte und dann fing sie an zu erzählen:
"Ich weiß, es ist damals blöd gelaufen zwischen uns. Das wir nichts mehr zusammen gemacht haben, dass ich keine Zeit mehr hatte. Aber ich habe oft an dich gedacht und gerade jetzt in dieser Zeit wünsche ich mir dich zurück, dich und dein Lachen und was wir alles zusammen erlebt haben. Wenn es doch nie so gekommen wäre...
Du hast dich sicher gefragt, warum ich nicht mehr zu meinem Vater gefahren bin. Er hat mir vor einigen Jahren sehr weh getan, er konnte nicht akzeptieren, dass ich älter geworden bin und mich langsam zu einer Frau entwickelte. Es ist damals sehr eskaliert und ich habe den Kontakt abgebrochen. Auch meine Großeltern, die du sicherlich auch noch gut kennst, haben mich damals sehr enttäuscht. Ich hätte nie gedacht, dass sie das jemals tun würden, aber sie haben es. Und ich weiß noch, wie ich damals alles gehört hatte...ich schrieb einen Brief, packte meine Sachen und haute ab. Und wie ich mich dort in dem Graben versteckt hatte, weil ich wusste, dass sie mich suchen würden. Jetzt denke ich manchmal, dass es zu voreilig war, aber ich war 13.
Jedes mal wenn ich sie jetzt sehe, steht etwas zwischen uns. Und mein Vater... er ist wie ein fremder Mensch. Er ist nicht mehr mein Vater.
Meine Mutter hatte bald einen neuen Lebensgefährten und es dauerte nicht lange, bis sie zusammenzogen, wir mussten natürlich mit. Er war auch ganz nett, aber am Anfang dachte ich, er wolle sich nur einschleimen.
In dieser Zeit sammelte ich auch meine ersten Erfahrungen mit Jungs, hatte meinen ersten Freund, er war damals 18.
Ich weiß, dass das früh war. Aber irgendetwas fehlte mir und ich weiß auch jetzt noch nicht, warum ich so frühreif war. Denn es hat mich sehr geprägt.
Dann kam mein 14. Geburtstag, das war auch das Jahr indem ich den Kontakt zu meinem Vater abbrach. Es war eine schwere Zeit für mich, denn es gab da auch einen Jungen, in den ich schon längere Zeit verliebt war, aber er sah nur meine Äußerlichkeiten und ich war zu dem Zeitpunkt schon gut entwickelt... Wir waren dann auch kurz zusammen, eine Woche, für mich war es die Erfüllung meiner Träume, für ihn - ein Fehler. Die ganze Woche meldete er sich nicht, bis ich die Initiative ergriff und ihn zur Rede stellte. Er sagte, dass ich ihm zu jung war.
Zwei Wochen später, hatte er eine neue Freundin. Sie war auch 14.
Aber das war nicht das einzige. Ich lernte einen anderen Jungen kennen, der genauso viel Interesse an mir zeigte. Wir schliefen eine Nacht zusammen im selben Bett, aber hatten nichts miteinander. Nur Kuscheln. Und was er mir alles für wunderbare Sachen erzählte. Aber komischerweise nie in mein Gesicht, immer zur Wand. Und als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich dort auf dem Boden ein Bild von einem anderen Mädchen stehen. Es war seine Freundin.
Es gab viele weitere solcher Geschichten. Und ja, vielleicht war ich zu dem Zeitpunkt sehr naiv. Aber ich habe doch nur Gutes gewollt. Vielleicht wollte ich die Liebe in der Welt wiederherstellen. Ich hatte doch so viel zu geben.
Du kannst dir sicher vorstellen, wie sehr mich das verletzt hatte. Ich war so schon vorbelastet was meine Eltern anging, und was sie sich immer an den Kopf hauten. Ich wollte keinen Streit. Ich wollte keine Ablehnung. Ich wollte jemanden, der mich so nahm wie ich bin. Den hatte ich aber nicht und ich fand meinen Trost damals in einer Rasierklinge.
Dann lernte ich einen Jungen kennen. Er zeigte mir wie schön das Leben sein kann. Er wurde zu meinem besten Freund. Wir haben viel geschrieben, oft telefoniert und uns getroffen.
Irgendwann sagte er mir im betrunkenen Zustand, dass er sich in mich verliebt hatte. Ich wusste aber nicht was ich davon halten sollte, denn er war doch die eine Person, die ich mir immer gewünscht hatte.
Und ich wusste, wie Liebe ist. Wie sie alles zerstört...
Aber wir wurden ein Paar. Es waren 9 wundervolle Monate. Und dann war es vorbei... Die Nachgeschichte brauche ich dir nicht erzählen, davon steht die Hälfte in einem Blog, den ich seit einiger Zeit führe.
Aber eines - ich habe ihn nie loslassen können.
Ich wollte nicht wieder zu diesem kleinen, zerbrechlichen Mädchen werden, dass ich vorher war.
Versuchte mich also viel abzulenken. Zudem kam auch, dass der Abistress immer mehr zunahm, jetzt habe ich es ja zum Glück fast hinter mir.
Es gab viele weitere, ja, nun vielleicht Männer, in meinem Leben. Mit vielen hatte ich wunderbare Stunden, aber nur Stunden. Und keiner war so wie er. Es geht eine Zeit lang gut, aber dann realisiert man, das man doch mehr wert ist. Ich habe es satt immer nur auf meine Oberflächlichkeiten reduziert zu werden. Ich weiß, dass ich hübsch bin. Aber ich weiß auch, dass da mehr in mir ist, als das, was jedem sofort ins Auge fällt.
Jede Enttäuschung hat mich stärker gemacht, sonst wäre ich jetzt nicht das, was ich bin. Ich habe nie wieder eine Rasierklinge oder ähnliches angerührt. Ich habe mein Leben allein in den Griff bekommen.
Auch ohne solch Freunde, wie du damals zu mir warst. Ich hatte nur für kurze Zeiten unterschiedliche beste Freundinnen. Einmal hatte ich eine, die war eine tolle Freundin. So jemanden habe ich gebraucht, brauche ich immernoch. Aber das haben mir andere kaputt gemacht und es wurde nie mehr wie vorher.
Und dann gab es da noch eine, uns hat die Liebe zu Kindern zusammengeführt. Aber dann kam da ein Kerl in ihr Leben, der alles zerstört hat. Nicht nur unsere Freundschaft, auch sie, aber das wollte sie nie einsehen.
Alles was ich dann von ihr noch gehört habe, war eine Entschuldigung, und dass ich doch die ganze Zeit recht hatte. Aber was nützt schon recht haben, wenn man sich nicht mehr vertrauen kann.
Ich habe soviel verloren. Von klein auf angefangen. Und ich habe es satt dem nachzurennen. Ich kann nicht mehr.
Sobald mein Abitur geschafft ist, will ich einen Neuanfang wagen. Ich möchte in eine große Stadt gehen, mit Kindern arbeiten. Den Menschen, die ihre ganze Lebensfreude noch in sich haben, die lachen können, dessen größtes Problem ein aufgeschlagenes Knie oder eine kaputte Barbie ist.
Ich habe soviel gesehen. Und es bereitet mir Kopfschmerzen darüber nachzudenken.
Ich weiß mittlerweile, dass Liebe nichts Gutes ist. Ich bin ein Pessimist geworden. Sobald du anfängst zu lieben, verlierst du alles.
Schau mich an, ich bin 18 Jahre alt und müde vom Leben.
All diese Erlebnisse, haben meine Seele altern lassen. Innerlich habe ich ein anderes Alter, als ich es nach draußen zu haben scheine. Ich komme mit Gleichaltrigen nicht mehr klar und sie nicht mit mir. Ich habe andere Ansichten vom Leben, erwachsenere. Eine Bekannte, sie geht auf die 40 zu, meinte einmal zu mir, als ich mit ihr über Freundschaft und den Sinn des Lebens philosophierte, dass sie die ganze Zeit dachte, sich mit einer gleichaltrigen zu unterhalten.
Vielleicht ist das, das Problem, nach dessen Lösung ich schon lange gesucht habe.
Ich kann nur hoffen, dass letzte bisschen Hoffnung in mir aufbrauchen, dass bald alles besser wird.
Dass ich neue Menschen kennenlerne, die mir genauso ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnten, wie du damals, mit den winzigsten Dingen. Die für mich da sind. Die mir die Liebe geben die ich brauche und ich werde sie ihnen doppelt zurückgeben.
Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe. Aber du bist deinen Weg gegangen und ich meinen. Und ich schätze, du würdest genauso nicht mehr mit mir klarkommen, wie all die anderen.
Ich bin froh, dich in meinem Leben gehabt zu haben, du gehörst zu der Schönsten Zeit darin.
Falls sich irgendwann mal jemand fragen wird, warum ich so bin wie ich bin, dann sage ihm genau das, was ich dir gerade erzhält habe.
Das Leben ist nicht einfach und ich weiß du wirst das keiner Gleichaltrigen abnehmen, denn was weiß die schon vom Leben.
Aber ich habe mehr gesehen, als ich wollte und diese Bilder werde ich nie wieder los werden."
Und dann bedankte sie sich für das Gespräch, nahm ihre Jacke und ging.
Ich blieb erschrocken zurück...und da wurde mir bewusst, wieviel Glück ich doch eigentlich hatte mit allem.
Ich wollte so gerne wieder für sie da sein, aber sie hatte schon recht. Viele Sachen konnte ich einfach nicht verstehen. Die Leichtigkeit ihrer Person war verschwunden und sie würde nicht wiederkehren. Nicht mal durch Liebe, denn sie wusste genau, was sie anrichten würden.
Ich holte den Kellner ran, bezahlte und fuhr nach Hause. Ich fuhr an unserem Essigbaum vorbei. Aber da war keiner mehr. Ich sah nur noch einen Stummel und ein paar rote Blätter darum liegen.
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