Donnerstag, Dezember 30

8.11.2010

Die Sängerin


"Sie war ein Kind und wurde in meinen Armen zum Weib. Ihre ersten Küsse waren unerfahren wie aus dem Nest gefallene junge Tauben, ihre letzten Küsse sogen die Seele aus mir heraus! Wenn sie kam, abends oder in der Früh, schlanker als ein Knabe! sie war in den großen alten Mantel gewickelt, dann warf sie ihn hinter sich und trat hervor wie ein Reh aus dem Wald.Sie glühte unter meinen Küssen auf.
Sie hatte einen andern Mantel dann von nacktem Glanz und ungreifbarem Gold. Ihr Hals war angeschwollen und ihr Mund gekrümmt vom Schluchzen grenzenloser Lust. Beladen war ein jedes Augenlid
mit Küssen, jede Schulter, jede Hüfte! Ich habe hundertmal im Arm von andern der anderen vergessen, wie durch Dunst durch ihren Leib hindurch den Perlenglanz von jenem Leib im Dunkeln schwimmen sehn und zu mir glühen durch den Dunst goldfarben ein erbsengroßes Mal an ihrer Brust."



"Hast du mich nicht singen gehört? Sie sagen, daß es finstrer und lichter wird in einer großen Kirche von meinem Singen. Sie sagen, eine Stimme ist ein Vogel, der sitzt auf einem Zweig der Himmelsglorie. Sie sagen, wenn ich singe, mischen sich zwei Bäche freudig, der mit goldnem Wasser, der des Vergessens, und der silberne der seligen Erinnerung. In meiner Stimme schwebt die höchste Wonne auf goldnen Gipfeln, und der goldne Abgrund der tiefsten Schmerzen schwebt in meiner Stimme. Dies ist mein alles, ich bin ausgehöhlt wie der gewölbte Leib von einer Laute, das Nichts, das eine Welt von Träumen herbergt: und alles ist von dir, dein Ding, dein Abglanz. Denn wie ein Element sein Tier erschafft, so wie das Meer die Muschel, wie die Luft den Schmetterling, schuf deine Liebe dies. In deiner Liebe, nur aus ihr genährt, unfähig, anderswo nur einen Tag sich zu eratmen, einzig nur bekleidet mit Farb, aus diesem Element gesogen, wuchs dieses Wunder, dies Kind der Luft, Sklavin und Herrin der Musik,
Geschwister der weißen Götter, die im Boden schlafen, dies Ding, das ich so: meine Stimme nenne, wie Einer traumhaft sagt: mein guter Geist! Mein Lieber, wohl. Denn dies entstand ja so:
Als du mich ließest, stand ich ganz im Finstern
und wie ein Vogel an den dunklen Zweigen hinflattert, suchte meine Stimme dich. Du warst im Leben, dies war mir genug. Ich sang, da warst du da, ich weiß nicht wie, ich meinte manches Mal, du wärst ganz nah und meine Töne könnten aus der Luft dich holen, wie die Klauen eines Adlers. Es wurden Inseln in der Luft, auf denen du lagest, wenn ich sang. Und immer war mir, als rief ich nur das Eine: Er ist schuld, an allen Wonnen er, an allen Qualen! Merkt nicht auf mich! Er ist es, der euch rührt! Und meine Klagen senkten sich hinab wie tiefe Stiegen, unten schlugen Tore wie ferner Donner zu, die ganze Welt umspannte meine Stimme und auch dich,
du warst in ihr."

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